6 - die beste Meditationsübung


Das Leben in einer zunehmend härter werdenden Leistungsgesellschaft macht den Menschen krank. Er leidet unter Stress, daraus folgend an Depressionen, daraus folgend an schweren Krankheiten. Um Guido Westerwelle zu zitieren »Leistung muss wieder belohnt werden«. Allein schon »wieder«. Wann war es denn mal anders. Die Bewertung allerdings, was Leistung ist, richtet sich nach gesellschaftlich gültiger Norm. Der Mensch, der nach gesellschaftlich anerkannten Moralvorstellungen »etwas« leistet galt schon immer »etwas« und wurde schon immer dafür belohnt. Was aber, wenn diese Leistungen auf Kosten anderer geschehen, die nicht ganz so schnell sind. Niemand möge mich falsch verstehen. Menschen, die sich einsetzen, die aktiv sind, die Verantwortung übernehmen, möchte ich hier in keiner Weise schmälern. Ihre Tätigkeiten erkenne ich hoch an. Aber nicht jeder in unserer Gesellschaft, der »viel« leistet, wird dafür belohnt und nicht jeder, der belohnt wird hat »viel« geleistet. Viel zu schnell gerät man durch das Leistungsdenken in ein Denken in Vorurteilen und Schubladen, was jüngst die Äußerungen des Vizekanzlers gezeigt haben. Was aber wäre, wenn die Gesellschaft sich verändern würde, es keine »Belohnung« mehr geben würde, sondern über das Gefühl des Miteinander verantwortliches Handeln entstehen würde (siehe dazu Götz Werner, DM Chef, »bedingungsloses Grundeinkommen«). Die Waldorfschulen machen es im Grunde im Kleinen schon vor. Ohne Noten gibt es keine Messwerte. Jeder macht so gut er kann und in der Zeit, die er braucht. Bewertet wird das faire Miteinander. Auf diese Weise werden verantwortungsbewusste und selbstbewusste Menschen heran gezogen. Natürlich ist es manchmal schwer, sich vom Leistungsdenken zu verabschieden. Denn plötzlich fehlt der Halt. Das Messbare ist verschwunden. Woran soll der Mensch sich orientieren. Und hier sind wir plötzlich mitten im Yoga- Gedankengut. Im Yoga praktizieren wir täglich: das was messbar ist, liegt nur in uns. Jeder Mensch ist anders, jeder braucht eine andere Zeit, jeder Mensch hat verschiedene Stärken und verschiedene Schwächen. Hierin gilt es, sich durch Selbstannahme zu unterstützen. Ein Mensch, der über diese Praxis in eine Selbstannahme gekommen ist, hat gelernt, auch andere Menschen mit ihren Schwächen ganz anders anzunehmen. Es entwickelt sich Mitgefühl und daraus eine ganz andere Hilfsbereitschaft. In Indien ist das Karmayoga fest verankert. Das bedeutet handeln um des Handelns willen, helfen um des Helfens willen, ohne Früchte für sein Handeln zu erwarten. Zwar ist dieser Gedanke in sich ein bisschen widersprüchlich, denn die Grundlage bildet der Glaube an die Reinkarnation und an ein besseres nächstes Leben, wenn der Mensch in diesem gut ist und sich für andere Menschen einsetzt. Insofern sind natürlich im weiteren Sinne auch wieder Früchte des Handelns gewünscht. Aber es geht nicht um eine direkte Belohnung. Ich war vor kurzem in Hamburg bei einem Vortrag eines indischen Yoga-Philosophen, Shri Shri Ravi Shankar. Er hat mir noch mal mehr die Augen geöffnet für das, was Meditation wirklich bedeutet und dass dieser Grundgedanke sofort auf die Yogapraxis und das ganze Leben übertragen werden kann. Er sprach von den drei Säulen der Meditation: »Nichts wollen. Nicht tun. Nichts sein.« Wenn alle Menschen in dieser Grundeinstellung durch das Leben gehen würden, könnte die Menschheit im Frieden sein. Etwas wollen bringt den Menschen in Unfrieden. Er begehrt Dinge oder Menschen, die ihm nicht gehören, hat Angst zu verlieren, selbst wenn ihm eigentlich gar nichts gehört. Etwas wollen und es nicht zu erreichen, macht unzufrieden. Der Gedanke weist in die Zukunft und damit weg vom Genießen des Augenblicks, in dem alles vorhanden ist. Wie oft hören wir von Menschen, die in ärmeren Ländern waren und berichteten, wie zufrieden die Menschen dort leben. Sie sind in diesem Nichts-Wollen fest verankert und können sich an dem, was sie haben erfreuen. Und mag das an unseren Maßstäben gemessen so gut wie gar nichts sein. Sie leben im gegenwärtigen Augenblick und nicht in einer beängstigenden oder auch hoffnungsvolleren Zukunft und damit entweder in Angst oder Sehnsucht. Nichts tun heißt nicht gar nichts zu machen und nur noch zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren. Vielmehr ist es eine Einstellung zum Handeln an sich. Hier möchte ich den Vergleich von Sport und Yoga anbringen. Wenn wir uns im Sport bewegen, liegt der Schwerpunkt auf dem Tun und auf dem Gedanken von Leistung. Wenn wir Yoga praktizieren, so wie es seit Jahrtausenden gelehrt wird, geht es nicht um das Tun, sondern um die Hingabe im direkten wörtlichen Sinn:»Sich hingeben«“. Wir lassen die Bewegung durch uns hindurchfließen. Wir lassen uns bewegen, nicht wir bewegen uns. Wir lassen die Atmung in die Bewegung fließen. Wir sind in Einatmung in die Kraft hineingezogen und in der Ausatmung in die Dehnung oder Entspannung. Deswegen bewegen wir uns nicht weniger als im Sport. Aber wir kommen nie »außer Atem«. Nie außer Atem kommen heißt, immer aus einer inneren Ruhe heraus zu handeln. Wenn wir unsere Arbeit in diesem Sinne vollrichten, werden wir nicht passiv, sondern stressfrei. Wir handeln in einer Konzentration aus unserer Mitte heraus und folgen Schritt für Schritt unserer Tätigkeit. Wie der Straßenkehrer in dem Buch »Momo« von Michael Ende, der Zug um Zug die Straße kehrt, immer das tut, was gefragt ist, was ansteht, ohne auf das Ende der Straße zu schauen, das dann schon wieder das Neu-Anfangen am Beginn der Straße bedeuten würde. Der Weg ist das Ziel, nicht das Ende. Das nimmt uns den Stress. Ermüden tun wir immer an den Dingen, die wir nicht geschafft haben und nicht an denen, die wir geschafft haben. Nichts sein heißt nicht nicht sein. Nichts sein heißt: nicht etwas sein. Handeln ohne sich zu identifizieren. Täglich spielen wir viele unterschiedliche Rollen. Wir sind Arbeitskollege oder-kollegin, Mutter oder Vater, Partner oder Partnerin, Tochter oder Sohn usw. In jeder dieser Rolle aber stecken wir so tief drin, dass wir oft den inneren Weitblick verlieren. Wir identifizieren uns so sehr, dass wir völlig eintauchen. Auf diese Weise tauchen wir auch in unsere Emotionen ein, die mit dieser Rolle zu tun haben. Vielleicht regen wir uns über einen Kollegen oder Kollegin auf, vielleicht über den Partner, die Tochter oder den Vater. Wären wir in der Lage aus unserer Fischperspektive in die Vogelperspektive zu wechseln, könnten wir auch die Rollen der anderen und uns selbst mit mehr Abstand sehen, um so vielleicht in den Humor zu finden und ins Mitgefühl. Die Welt könnte um einiges friedlicher sein, wenn wir in der Lage wären, auf diese Weise das Leben zu nehmen. Im Yoga und der Meditation üben wir das: Nichts wollen! Nichts tun! Nichts sein! Auf das wir mit Gelassenheit und Freude durch das Leben tanzen.

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